Das Verblüffende an diesem Stockhausen-Abend ist, dass er so anrührend wirkt. Waren wir nicht gewöhnt, uns an dem Meister zu reiben oder ihn verehren zu müssen: ihn, den raunenden Ego(scha-)manen mit galaktischem Kunstanspruch, der zu Weihe oder Widerspruch herausfordert? Von alldem war nichts zu spüren bei der deutschen szenischen Erstaufführung von „MICHAELs JUGEND“ bei der MarzMusik im Haus der Berliner Festspiele. Erstmals hatte der Komponist erlaubt, einen Teil des Zyklus unabhängig von seinen eigenen Anweisungen aufzuführen.

Regisseurin Cornelia Heger schraubt Stockhausens Privatmythologie glücklich vom Allgemeinen ins Besondere zurück. Deutlich waren nun die Menschen hinter den Maskierungen zu erkennen…MICHAELs JUGEND“ also als bildkräftige Erzählung eines absonderlichen Lebenswegs zum Avantgardekünstler. Naiv gedeutet? Warum nicht!

Der Regiseurin gerät es zu einem berührend-eindringlichen Annäherungsversuch an eine Künstlerpersönlichkeit, die deutlich Stockhausens Züge trägt.

Carsten Niemann Der Tagesspiegel 2002